Schnell zum Cumshot-Castle (my Wilmersdorfer Reihenhaus is my Cumshot-Castle), denn bevor ich meine Lieblingsfernsehsendung Aktenzeichen xy anschaue, die die Wirklichkeit stets in ihrer ganzen Abscheulichkeit zeigt, will ich die letzten Chancen der rabattierten Tage bei Veronas Massagen nutzen, um mir die Welt schön wichsen zu lassen. Aber als ich heute am späten Nachmittag vor der Tür stehe, sehe ich mit Entsetzen auf eine Tafel die in schwungvoller Schönschrift verkündet, wann der nächste freie Massagetermin wäre. Für einen Moment werde ich ähnlich kreidebleich wie die Schrift. Ich trotte ein wenig missmutig zurück, beobachte aber die Szenerie noch kurz von der anderen Straßenseite aus, womit ich mich bei den Nachbarn, aufgrund der dichten Häuserbebauung, schwer verdächtig mache und wohl sowas wie gangsterausbaldowernde Angst auslöse, auf alle Fälle werde ich das Gefühl nicht los, dass mich gerade Unmengen von Menschen hinter ihren leicht zur Seite gezupften Gardinen beobachten.

Es kommen im Minutentakt Männer aus dem Haus, denen so ein verklärtes Dauergrinsen ins Gesicht gefräst ist. Ich gehe ein paar Mal um den Block spazieren. Eine gefühlte Ewigkeit später ist mein Einlassbegehr erfolgreich, allerdings vertröstet man mich gleich in eine bessere Abstellkammer, um zu verhindern, dass die zahlreich wartenden Männer spontan eine Schicksalsgemeinschaft bilden könnten. „Heute ist die Hölle los, wegen unserem Osterangebot, muss sich irgendwie rumgesprochen haben“, meint die sympathische Liz zu mir. „Ich heiße dich willkommen, wieder willkommen“ – „ist das nen Stammkunde“, tuschelt Kollegin Chloe, „kenn ich nicht. Wann war der denn das letzte Mal da?“ – „Gestern!“ – „Gestern? Is ja wohl ein Scherz.“

Obwohl ich nur dieses läppische zehn-Euro-Angebot nutzen will, lädt man mich auf eine Fanta als Geduldsdankeschön fürs Warten ein. So ca. im Fünfminutentakt klären sie mich, stets wird vorher respektvoll angeklopft, über die aktuelle Quickie-Orgasmus-Abarbeitungslage auf. Liz entschuldigt sich, sie müsse jetzt die Wäsche machen. Schließlich kommt Chloe frisch vom Höhepunkt eines Herrn ins Zimmer und versucht mir, ganz clever mit einem sehr knappen Handtuch um den Oberkörper gebunden, schmackhaft zu machen, ob ich nicht die Variante für 20,00 Euro nehmen wolle. „Da bin ich dann nackt.“ Ich verneine höflich. „Anfassen ist dann aber verboten“, klärt sie mich mit ihrem streng zurückgekämmten Haar streng auf.

„So, dein Bett ist gemacht“, bittet sie mich theatralisch, aber mit einem eindeutig hohen Unterhaltungsfaktor ins Vollzugszimmer, wo „das Bettenmachen“ natürlich nur aus einem frisch ausgebreiteten Handtuch auf der Massageliege besteht. Während ich mich nun alleine im Zimmer ausziehe, zieht sich Chloe in einem anderen Raum wieder an. Dass heißt sie presst sich die Korsage mit Slip an. Als sie klopfend als bestenfalls halbherzig gelungenes Domina-Surrogat für Schmuse-Masochisten zurechtgemacht eintritt, sagt mir mein Bauchgefühl schon, ich habe die für mich falsche Entscheidung getroffen. Aber das ist ja das Tolle an diesem preisgünstigen Probierangebot, im Notfall mal einen Fehlkauf für zehn Euro getätigt zu haben ist keine Katastrophe. Es ist finanziell verkraftbar und macht einen dennoch um eine Erfahrung reicher.

Chloes Erscheinung erinnert mich stark an die sadomasochistische Spielart CFNM – das steht für clothed female nude man. Es kommt zu Handgreiflichkeiten, die meine Intimsphäre verletzten. Aber ich habe es ja nicht anders gewollt. Genau genommen bin ich gerade deswegen hier. Chloe berichtet, dass sie gerade einen Kunden für 100,00 Euro massierte. Und sieht mich das erste und für lange Zeit auch das letzte Mal mit einer leicht mitleidsschwangeren Miene an: „aber das kann sich nicht jeder leisten. Bei zehn Euro ist das natürlich was anders.“

Homehandjobbing kills prostitution (Zuhause Wichsen vernichtet Arbeitsplätze), aber sexuelle Dienstleisterinnen, die einen ihnen unliebsamen Auftrag spürbar gelangweilt routiniert abarbeiten, die vernichten ihre Arbeitsplätze damit genauso. Wie also Chloe an meinem Glied stets einhändig, stets nur mit einer Bewegung ohne Variation, ohne Gefühl und ohne Anteilnahme zupfend zugange ist, spekuliere ich ein wenig über die Gründe: vielleicht waren die Männer heute wirklich im Akkord abzuwichsen, sodass sie schlichtweg ausgepowert ist, vielleicht ärgert sie sich darüber, dass sie sich wieder anziehen musste und an mir so wenig verdient. Ich vermute mal, dass sie von dem Angebotspreis fünf Euro als Lohn für sich einstreichen dürfte. Das ist für den Sexsektor zugegebenermaßen exorbitant wenig.

Chloe setzt sich neben mich auf die Liege, wichst und da es gerade nicht besonders spannend ist und kaum Aussicht auf Besserung besteht, reden wir ein wenig über die Weltlage. Was ich dann schon wieder komisch finde, eine ernsthafte Analyse über den Zustand der Menschheit anzustellen, während eine Frau einen dabei einfach so wichst. Sie steht nun auf, wobei sie mich mit ihren rotlackierten Fingern weiter während ihrer immer gleichen Faustschüttelart missachtet. Ich phantasiere, dass es ja jetzt echt passen würde, wenn sie mir erzählte, dass ihr Handgelenk wegen einer akuten Sehnenscheidenentzündung durch die ständig gleichen Wichsbewegungen leider zu streiken begönne und mich um Verständnis bäte, ob ich nicht alleine weitermachen könne. Das passierte zwar nicht, aber es fasst meine emotionale Stimmung auf der Liege korrekt zusammen.

Ich will die Sache jetzt eigentlich nur noch schnell zu Ende bringen. Chloe bleibt unterkühlt, professionell freundlich und unnahbar. Ich bitte sie um eine etwas festere Wichsweise, spanne mein Gesäß an, denke an etwas Angenehmeres und siehe da, es klappt. Die Ejakulation ist allerdings einzig und allein mein Werk. Eigentlich wäre ich es, der dafür entlohnt gehörte. Bei der respektvollen Verabschiedung merke ich deutlich, dass es sich um eine intelligente junge Frau handelt, großgewachsen und wohlerzogen. Und die große Stärken in der Kommunikation besitzt, den trivialen Smalltalk ebenso grandios beherrscht wie geistreiche Unterhaltungen, aber der das Neckische, das Kumpelhafte, das Sinnliche, das Empathische, und im tantrischen Sinne, was ja der Anspruch dieses Etablissements ist, das Geborgenheit- und Näheschenkende fehlt.